10/2023
Baronka - Ein erster Einblick

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3 min
ZUM ORIGINALBEITRAG
Das Blaulicht war von weitem zu sehen. In gleichmäßig zuckendem Rhythmus tanzte es durch die Dunkelheit, ließ Schneewehen und die weiße Last der Zweige schimmern wie Kristall. Sie funkelten auf und verblassten übergangslos, bis der nächste Lichtstrahl sie erneut bannte. Ein schier märchenhaft anmutendes Gemälde in blendenden Weiß- und Blautönen, sein Rahmen gefasst vom üppigen Schwarz des Nachthimmels und den Gerippen winterkahler Bäume. Der Anblick war exquisit. Wie von Meisterhand gezeichnet in einem Medaillon, das kostbarer nicht sein könnte.
Ihr Wald war älter als die Menschheit selbst. Sein Herz pulste im Takt der Jahrhunderte, langsam zwar, aber stet. Er wuchs ungestört und das seit Urzeiten, nur wenige Kilometer von der Zivilisation entfernt. Eine einzige Trasse zog sich wie ein ziellos mäandernder Wurm hindurch. Die Menschen mieden seine Nähe, ja, sie fürchteten ihn und das war gut so. Erst wenn der Winter kam und den Wald mit kalten Schneeflocken deckte, zeigte er seine wirkliche Schönheit her. Dann wurde der eisige Tod lebendig.
Die umherhastenden Menschen und die Frau, die am Straßenrand saß, machten das Bild vollkommen. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, den Mund zum Schrei geöffnet, die Augen so weit aufgerissen, dass das Weiße darin zu sehen war. Der Mann stand neben ihr, Krücken unter den Arm geklemmt, die Hand in einer hilflos erscheinenden Geste nach ihr ausgestreckt. Zwei Polizisten zerrten den umgestürzten Fahrradanhänger die Böschung herauf. Das Orangerot der zerrissenen Bespannung verlieh dem Intermezzo einen Brennpunkt, der fast ordinär anmutete.
Niemand beachtete den Mercedes mit den langgezogenen Heckflossen, obwohl der Oldtimer mit den auffälligen Chromverblendungen sicherlich einen zweiten Blick wert gewesen wäre. Gemächlich scherte die schwere Limousine aus, fuhr an der abgesperrten Stelle vorbei. Die Baronka lachte leise und legte die Hände fester um das Leder des Lenkrads. Sie weidete sich an dem Leid der Frau, die dort im Schnee saß, genoss deren Angst wie ein lebenbringendes Elixier. Der Motor des bordeauxfarbenen SE 300 grollte wie hungriges Löwenkätzchen, als sie in den nächsten Gang schaltete und Gas gab.
Was für eine wunderbare Nacht! So vollkommen. Und sie, Baronka, ihr Souverän. Sie war die Perchta, deren Atem tötete. Sie war Mallt-y-Nos, das gottlose Weib; die grausame Korrigan, die die wilde Jagd anführte. Sie war die Fürstin des Winters. In ihrem Wald geschah nichts, von dem sie nicht wusste.

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